
Viareggio bei Regen: Schlechtwetter-Tipps für die Versiliaküste
Viareggio, das ist normalerweise Sonne satt, ein leichter Hauch von Salz in der Luft, glitzernde Sonnenbrillen auf bronzefarbenen Nasen und diese fast schon kitschige Leichtigkeit des Seins, die einem italienische Küstenstädte so charmant vorgaukeln. Aber dann, eines Morgens: Nichts als ein grauer Himmel, der aussieht, als hätte Botticelli plötzlich Düsternis entdeckt.
Was tun, wenn der Himmel seine Schleusen öffnet und die toskanische Küste wie ein schlecht gelauntes Aquarell aussieht? Rückflug buchen? Oder – der bessere Plan – einfach einen Regenschirm aufspannen, den Rhythmus drosseln und Viareggio von einer neuen Seite entdecken: der nassen, aber keineswegs langweiligen.
1. Kunstvoller Rückzug: Die GAMC – Galleria d’Arte Moderna e Contemporanea
Die Galleria d’Arte Moderna e Contemporanea di Viareggio liegt im Palazzo delle Muse, einem Gebäude, das schon von außen so tut, als wäre es für Regentage entworfen worden: massiv, ruhig, mit Aussicht auf kontemplative Stunden. Innen warten Werke von Künstlern wie Moses Levy, Lorenzo Viani und anderen Größen der italienischen Moderne. Wer ein bisschen italienische Kunstgeschichte schnuppern will, ohne von Schulklassen überrannt zu werden wie in Florenz oder Rom, ist hier genau richtig.
Besonders lohnenswert: die Wechselausstellungen, die oft den Spagat zwischen Tradition und zeitgenössischer Kunst wagen – und das mit erstaunlicher Eleganz. Wer sich also intellektuell aufrüsten will, während draußen das Wasser vom Himmel rauscht: Hier ist der richtige Ort.
2. Espressi, Eleganz, Existenzialismus: Kaffeehäuser mit Charakter
Viareggio hat eine stolze Kaffeehauskultur, und anders als in vielen Touristenorten sind hier noch echte Orte des sozialen Lebens zu finden – keine Instagram-Kulissen mit Latte Art und synthetischem Charme. Im Caffè Liberty, das schon im Namen den Jugendstil atmet, treffen sich Rentner, Künstler und Regenflüchtlinge auf ein Gespräch über Gott, Politik oder den letzten Fußballspieltag.
Ein paar Straßen weiter lockt das Bar Galliano, wo man das Gefühl bekommt, der Espresso werde noch mit philosophischer Tiefe serviert. Hier kann man sich stundenlang hinter einer Zeitung verschanzen – La Repubblica oder Corriere della Sera, je nach politischer Couleur – und zusehen, wie sich draußen Regenschirme wie bunte Seerosen durch die Straßen schieben.
3. Der Regen tanzt mit: Museo del Carnevale – das ganzjährige Spektakel
Viareggio ohne seinen Karneval wäre wie Venedig ohne Masken. Und selbst wenn man außerhalb der Narrenzeit kommt, lohnt sich ein Besuch im Museo del Carnevale, das im Cittadella del Carnevale, etwas außerhalb des Zentrums, untergebracht ist. Hier lernt man nicht nur, wie gigantische Satirefiguren aus Pappmaché entstehen, sondern auch, wie tief der politische Humor in der lokalen DNA verankert ist.
Wer dachte, Italiener nähmen sich selbst zu ernst, wird hier eines Besseren belehrt: Aufblasbare Berlusconis, grotesk überzeichnete Draghi-Köpfe und Drag-Queens auf fahrenden Bühnen beweisen das Gegenteil – und das bei jedem Wetter.
4. Shoppen bei Schlechtwetter
Die Viale Giosuè Carducci – diese von Palmen gesäumte Einkaufsstraße direkt hinter dem Strand – verwandelt sich bei Regen in eine Art toskanische Champs-Élysées mit Schirm. Hier kann man sich stilvoll in Deckung begeben: Boutiquen mit italienischer Modekunst, Schuhläden mit Lederwaren aus der Region, Parfümerien, die nach Zitrus, Meer und irgendwie immer auch ein bisschen Drama duften.
Wem der Regen zu penetrant wird, der huscht von Schaufenster zu Schaufenster, stets mit der Entschuldigung, man wolle „nur mal schauen“. Doch wie so oft in Italien: Wer schaut, kauft. Wenigstens ein Seidentuch. Oder einen Regenschirm. Und sei es nur, um wie Sophia Loren bei einem Gewitter in einer Szene aus den 60ern auszusehen.
5. Literatur, Leidenschaft und Lokalpatriotismus: Buchhandlungen und Bibliotheken
Wenn draußen das Meer aufgewühlt ist und die Wellen gegen die Uferstraße schlagen, wirkt ein Besuch in einer italienischen Buchhandlung fast wie ein Akt der Rebellion. In der Libreria Lettera 22 etwa, benannt nach der berühmten Reiseschreibmaschine von Olivetti, findet man eine kleine, aber feine Auswahl an italienischer Literatur, Kunstbänden und Kinderbüchern, die auch Erwachsene zum Stöbern bringen.
Ein Geheimtipp für Italienischlernende: In vielen Läden darf man in Ruhe lesen – und man wird nicht wie in deutschen Buchhandlungen nach zwei Minuten beäugt wie ein Dieb. Man bleibt, liest, trinkt vielleicht einen Caffè aus dem Automaten in der Ecke – und vergisst das Wetter komplett.
6. Ausweichmanöver ins Hinterland: Lucca, Pietrasanta, Camaiore
Wer der Küste endgültig entfliehen will, nimmt den nächsten Zug oder Bus ins Landesinnere. Lucca, nur eine halbe Stunde entfernt, zeigt sich bei Regen von einer mystisch-ruhigen Seite. Die dicken Mauern schützen die Stadt vor Wind, und in den engen Gassen hallt das Tropfen so poetisch, dass man fast erwartet, einen melancholischen Puccini-Geist zu treffen.
Oder man fährt nach Pietrasanta, das unter Künstlern als „Klein-Athen“ gilt: Ateliers, Galerien, Skulpturen auf den Plätzen – eine Art regennasses Freiluftmuseum mit Espresso-Pausen.
7. Kulinarik als Therapie: Gnocchi, Wein und Gelassenheit
Natürlich darf bei Schlechtwetter eines nicht fehlen: gutes Essen. Und davon gibt es in Viareggio reichlich. Die Trattoria Buonamico serviert ihre Gnocchi mit Muscheln auch dann, wenn der Regen das Pflaster spült. In der Osteria L’Imbarco bekommt man den besten Fisch der Stadt, und das Ristorante Romano beweist, dass man auch Michelin-verdächtig essen kann, ohne dabei die Bodenhaftung zu verlieren. Ein Glas Bolgheri, ein Teller mit frischem Tintenfisch – und draußen wäscht der Regen die Straße frei für neue Gedanken.
Regen in Viareggio ist keine Katastrophe – sondern ein Charaktertest
Wer Viareggio nur bei Sonne kennt, kennt Viareggio nicht. Der Regen zeigt eine andere, leisere, nachdenklichere Seite der Stadt. Und manchmal sind es genau diese unerwarteten Regentage, die einem den authentischeren, tiefer schwingenden Klang Italiens näherbringen. Man tanzt eben nicht nur auf Sonnenterrassen – manchmal auch unter grauen Wolken. Und wer das kann, der weiß, wie Dolce Vita wirklich funktioniert.