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Pietrasanta – das „Kleine Athen“ der Bildhauerei

Pietrasanta, eingebettet zwischen Carrara-Marmorbrüchen und der Versilia-Küste, trägt seit jeher den Beinamen „Kleines Athen“ – und das nicht ohne Grund. Denn die Stadt mit ihren über 50 Kunstwerkstätten zieht seit Jahrhunderten Bildhauer, Mosaikleger und Gießer an – darunter illustre Namen wie Michelangelo, Henry Moore und Joan Miró.

Mitorajs Vermächtnis – Ein Museum entsteht

Igor Mitoraj (1944–2014), ein polnischer Skulpturenmagier, kam 1979 nach Pietrasanta, um seinen ersten monumentalen Marmorblock in Carrara zu bearbeiten. 1983 gründete er hier sein Atelier und nannte Pietrasanta – in typisch mythologischer Manier – „Kleines Athen“. Seine Werke – zerrissene Körper, posende Helden, Mythos und Tragödie – wurden international gefeiert.

Nach seinem Tod startete die Stadt einen gewaltigen Erinnerungsprozess: Das 1968 errichtete frühere Marktgebäude am Viale Oberdan wurde ausgewählt, um Mitorajs Sammlung dauerhaft zu beherbergen. Daraus entstand die Fondazione Museo Igor Mitoraj, gegründet im März 2022 von Ministerium, Region und Stadt mit einem Vorrat von 69 Werken im Wert von 7,6 Mio. Euro.

Architektur trifft Skulptur: Klarheit im Raum

Der Umbau liegt in Händen des Architekturbüros OBR: Drei lichte Hallen, modular teilbar, minimalistisch inszeniert, schaffen eine perfekte Bühne – offene Architektur trifft monumentale Kunst. Skulpturen „schweben“, hängen, stehen – und verschmelzen mit dem Raum, der einst Markt war, heute Kunsttempel.

Doch es bleibt urban: Im Außenbereich entstand eine neue „grüne Piazza“ mit Mammut-Olivenbaum, rollstuhlgerechter Rampe und Bronzekoloß „Corazza“ – ein sozialer Treffpunkt, offen für alle – auch nach den Schließzeiten des Museums.

Fortschritt im Zeitraffer

Die erste Bauphase endete im November 2024: Innenarbeiten, Glas, Aufzug und Marmortreppe waren fertig – die zweite Phase 2025 folgte mit Brandschutz, Sanitäranlagen, Rampe & Außengestaltung inklusive Skulptur.

Zwischen Mythos und Moderne

Mitorajs Kunst lebt vom Bruch: Klassische Ideale in Fragmenten. Er bearbeitete antike Themen (Ikaros, Mars, Eros) und zeigte menschliche Zerbrechlichkeit – Augenhöhlen leer, Körper unvollendet – ein ästhetischer Beweis der Vergänglichkeit. Die neue Museumsausstellung will diese Spannung aufrechterhalten: Zwischen Mythos & Moderne, Zeit & Raum, Stille und öffentlicher Piazza. Ein sinnlicher Seh- und Denkraum.

Warum lohnt sich der Besuch?

Architektonisches Konzept: Das Umbauprojekt verwandelt Markthallen in ein flexibles Kunst-Podium – contempo trifft Geschichte.

Mitoraj hautnah: Die 69 Werke, darunter Großplastiken aus Bronze und Marmor, dokumentieren Materialbeherrschung und Traumästhetik.

Gesellschaftsraum: Piazza, Garten und Kunst verschmelzen – das Museum ist urbaner Begegnungsort.

Symbolkraft: Pietrasanta knüpft an seine bildhauerischen Traditionen an – und verleiht ihnen ein modernes Gesicht.

Museo Igor Mitoraj: Ein Statement für die Kultur

Das Museo Igor Mitoraj in Pietrasanta ist mehr als nur ein weiterer Kulturneuzugang in der Toskana. Es ist ein Statement: Für Handwerk, für die Kraft der Skulptur – für einen Künstler, dessen Werk Mythos und Moderne auf distinctive Weise zusammenführt. Und es ist – im Sinne des „Spiegel“-Stils – eine ironische Leidenschaft für Bruchstücke und Vollendung zugleich: Ein schöner Widerspruch, zur Diskussion einladend und zum Verweilen. Genau richtig für einen späten Sommerbesuch, zwischen Carrara und Küste, zwischen Skulptur und Seele.