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Lost Place: Bagnoregio – das sterbende Dorf

In einer abgelegenen Region Italiens, an der Grenze zwischen Latium und Umbrien, thront ein Dorf auf einem Tuffsteinhügel, das zu den schönsten des Landes zählt. Civita di Bagnoregio ist nur über eine 250 m lange Fußgängerbrücke zu erreichen, die eine tiefe Schlucht überspannt.

Trotz der idyllischen Lage ist Bagnoregio ein sterbendes Dorf. Die Abgeschiedenheit, die Gefahr durch Erdbeben und die Perspektivlosigkeit ließ die meisten Einwohner abwandern. Nur eine Handvoll Unentwegter lebte vor der Jahrtausendwende noch in dem mittelalterlichen Kleinod, das die perfekte Kulisse für einen Fantasy-Film abgeben würde.

Doch seit Kurzem reift Hoffnung, dass sich die Zeit von Civita di Bagnoregio noch nicht dem Ende zuneigt. Lokalpolitiker und Künstler gründeten eine Initiative zur Rettung des Dorfes. Der Plan sieht vor, zu beantragen, dass Bagnoregio in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen wird.

Bagnoregio: Filmreife Kulisse
Besucher, die Civita di Bagnoregio zum ersten Mal betreten, scheinen sich in die Fantasy-Welt von „Games of Thrones“ oder „The Witcher“ hineinversetzt. Die Stadtmauern, die engen Gassen und die mittelalterlichen Türme erzählen die Geschichte einer Stadt, die ihre Identität und ihre Geschichte bewahrt hat. Es ist ein Ort, der zu einer Zeitreise in eine vergangene Ära einlädt und einen Eindruck von Italiens reichem kulturellen Erbe vermittelt.

Schmale Gassen führen hinter den Stadtmauern zur Piazza San Donato, an der sich die gleichnamige Kirche erhebt. Über 1.000 Jahre lang war sie Kathedrale und Bischofssitz, bis ein Erdbeben im Jahr 1695 große Schäden anrichtete. Der Bischof verlegte seinen Sitz daraufhin von dem Dorf auf dem Tuffhügel in den Hauptort in der Ebene.

Das sterbende Dorf
Civita di Bagnoregio war einst eine stolze Stadt, bis das Erdbeben von 1695 für einen deutlichen Einschnitt in der Geschichte sorgte. Vor 2.500 Jahren von den Etruskern gegründet, hat die Stadt viele Herrscher kommen und gehen sehen. Beim Erdbeben wirkten so gewaltige Kräfte, dass eine breite Schlucht aufriss, die den alten Siedlungskern von Rest der Stadt trennte. Die meisten Bewohner verließen daraufhin ihre Heimat und folgten dem Bischof hinunter in die Ebene. Die Civita verfiel und in den 1990er Jahren lebte nur ein Dutzend Menschen hinter den mittelalterlichen Mauern.

Wiederauferstehung als Touristenziel
Die Pläne, Civita di Bagnoregio auf die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes setzen zu lassen, haben das sterbende Dorf zurück in den Fokus der Öffentlichkeit geholt. In den Sommermonaten strömen Touristen in den malerischen Ort, teilweise bieten Unternehmer Busreisen von den umliegenden Städten nach Bagnoregio an. 2013 wurde eine Eintrittsgebühr für Tagesgäste eingeführt und langsam kehrt auch dauerhaft das Leben in den verlassenen Ort zurück.

Mittelalterliche Häuser als Zweitwohnsitz
Ein Ex-Manager aus Rom gab zu Beginn der 1990er Jahre den Startschuss für einen Neuanfang in Civita di Bagnoregio. Der Manager, mehrere Künstler und wohlhabende Hauptstadtbewohner begannen, die verfallenen Gebäude instand zu setzen und richteten Zweitwohnsitze hinter den altehrwürdigen Mauern ein. In der Kirche werden jetzt Konzerte gespielt und bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie veranstaltete eine US-amerikanische Uni Sommerkurse in Bagnoregio. Mittlerweile gibt es ein kleines Hotel, Cafés und Restaurants.

Wenn die Tagesbesucher das sterbende Dorf am späten Nachmittag verlassen haben, kehrt wieder Ruhe ein in den Gassen rund um die Piazza San Donato. Mit ein wenig Fantasie kann man das Klappern von Pferdehufen auf dem Steinpflaster und das Klirren von Ritterschwertern hören. Dann ist Bagnoregio wieder ganz die Kulisse, wie sie einem Fantasy- oder History-Streifen alle Ehre gemacht hätte.